Jimdo: Eine norddeutsche Erfolgsgeschichte
GutGedruckt, Autorola, PickMeUp und weinoutlet: Schon von weitem sind die Schilder gut zu erkennen. Sie bedecken großflächig den Zaun neben der Einfahrt zum Gelände an der Stresemannstraße 375 in Hamburg-Bahrenfeld. Wo früher Margarine produziert wurde, teilen sich heute mehrere Firmen einen Gewerbehof. Nach dem größten Mieter des Areals muss man allerdings etwas suchen. Unter den Blättern eines Baumes findet sich ein dezenter Hinweis auf die Firma Jimdo. Dabei gibt es für so viel Zurückhaltung eigentlich gar keinen Grund.
Jimdo ist eine norddeutsche Erfolgsgeschichte, geschrieben von Fridtjof Detzner, Matthias Henze und Christian Springub. Gemeinsam haben die drei Gründer in den vergangenen zehn Jahren ein Unternehmen aufgebaut, das sich vor den Erfolgen von Zalando, Xing und Co. nicht verstecken muss. 180 Mitarbeiter, Büros in San Francisco und Tokio: Mit ihrem Baukasten für Webseiten haben Detzner, Henze und Springub etwas geschaffen, um das sie viele andere Start-ups in Deutschland beneiden. Sie haben eine Firma ins Leben gerufen, die ohne große Investitionen von außen stetig gewachsen ist. Sie haben ein Team um sich versammelt, das stolz auf seine Leistung ist. Und profitabel ist Jimdo ganz nebenbei auch.
Der Anfang
Angefangen hat alles auf einem Bauernhof in Cuxhaven. 2004 richten sich Detzner, Henze und Springub dort für ein Jahr bei Detzners Mutter ein. Weil seine zwei Brüder bereits ausgeflogen sind, beziehen Henze und Springub die ehemaligen Kinderzimmer der beiden. Ihre Ausrüstung: ein Laptop pro Person.
Henze stößt damals neu zum Team. Der gebürtige Göttinger hat gerade sein BWL-Studium abgeschlossen und soll sich vor allem um die Kunden kümmern. Von denen gibt es zwar schon einige. Schließlich hatten Springub und Detzner bereits in der Schule gemeinsame Sache gemacht und Webseiten und Apps programmiert. Doch weil sich die beiden vor allem auf Programmierung und Entwicklung konzentrieren, brauchen sie Unterstützung. „Wir wussten, dass wir auf uns alleine gestellt irgendwann ein tolles Produkt haben würden, aber niemanden, der es kauft“, sagt Springub.
Northclick nennen die Drei ihr erstes gemeinsames Unternehmen, zusammen basteln sie an einer einfachen Erstellung von Webseiten für Geschäftskunden. Schnell muss das Trio jedoch feststellen, dass es mit seinen Ideen auf wenig Gegenliebe stößt. „Wenn wir eine Seite oder Anwendung fertig hatten, hatten wir anschließend noch jede Menge Verbesserungsvorschläge“, erinnert sich Springub. Weil die meisten Auftragsgeber mit dem Ergebnis aber zufrieden sind und nur dafür bezahlt haben, können die Gründer kaum zusätzliche Arbeit investieren – so sehr sie auch wollen.
Irgendwann sitzen Springub und Co. an einer Datenbank für Hotels und bauen zusätzlich eine Art Visitenkarten-Webseite. Dort können die Betriebe eigenständig Informationen eintragen und anpassen. Was heute altertümlich klingen mag, ist damals neu, und die Kunden zeigen Interesse. Weil das Ergebnis überzeugt, entscheiden sich die Gründer, diesen Weg weiterzugehen.
Der Anfang ist gemacht. Ab sofort beschränken sich Springub und seine Mitstreiter darauf, Webseiten zu bauen – immer jedoch mit der Maßgabe: „Wir bauen die Seite zu Beginn – Veränderungen nimmt der Kunde vor.“ Bei ihrem Vorgehen setzen die drei ausschließlich auf die eigenen Produkte. Gibt es Sonderwünsche, dann wird überlegt, ob sich das auch für die anderen Nutzer lohnen könnte. Lautet die Antwort auf diese Frage Ja, geht es an die Entwicklung, und am Ende wird die Funktion auch den anderen Kunden bereitgestellt. Diesem Prinzip ist man sich bei Jimdo bis heute treugeblieben.
Fünf Tage die Woche wird gearbeitet, meistens nachts. Man hält Vorträge, verschickt Werbung und versucht neue Kunden zu finden. Nicht alles läuft rund. Am Ende soll sich ihre Beharrlichkeit dennoch auszahlen. Es ist vor allem Mundpropaganda, die die Nutzerbasis wachsen lässt. Als irgendwann genügend Geld zusammen ist, brechen Detzner, Henze und Springub und ihr kleines Team die Zelte in Cuxhaven ab. Anfang 2007 ziehen sie ins 100 Kilometer entfernte Hamburg. Es ist der Startschuss für eine Reise, deren Ende noch lange nicht in Sicht ist.
Die Expansion
Obwohl Jimdo 2007 längst nicht der erste Webseitenanbieter auf dem Markt ist, scheint die Firma einen Nerv getroffen zu haben. „Was uns geholfen hat“, sagt Springub heute, „war, dass wir uns nie andere Produkte angesehen haben.“ Zwar habe man die Konkurrenz immer im Auge gehabt. Im Gegensatz zu anderen Märkten gebe es im Bereich der Webseiten-Bauer jedoch nicht „den einen Gewinner“. 1&1 sei wahrscheinlich größer als Jimdo – zumindest bei den Bezahlkunden. Allerdings „fahren wir bisher richtig gut damit, das zu bauen, was andere nachbauen“, fügt der 32-Jährige hinzu. Große Sorgen mache er sich daher nicht.
Ein weiterer Grund für den Erfolg von Jimdo dürfte die konsequente Internationalisierungsstrategie der Hamburger sein. 14 Tage nach dem deutschen Produkt wird die englische Version hinterhergeschoben. Drei Wochen später ist Chinesisch an der Reihe.
Um immer neue Länder zu erreichen und weiter zu expandieren, setzt Jimdo zu Beginn vor allem auf Studenten. Sie sorgen dafür, dass das Frontend bzw. die Webseite in verschiedene Sprachen übersetzt wird und kümmern sich um die Kundenakquise. „Wir hatten blindes Vertrauen in unsere Mitarbeiter“, sagt Springub. „Wenn ich die Geschichten von damals heute erzähle, muss ich oft lachen.“ Im Nachhinein sei er aber glücklich und zufrieden, dass alles funktioniert habe.
Englisch, Spanisch, Französisch: Es dauert nicht lange, dann sind die ersten Sprachen fertig. Anschließend wird meist das Land in Angriff genommen, für das sich ein Übersetzer finden lässt. Längst läuft dabei nicht immer alles rund. Als das Team zum Beispiel merkt, dass viele Menschen in Vietnam die Seite nutzen, geht man auf die Suche nach geeignetem Personal und lässt das Angebot ins Vietnamesische übertragen. Wenig später folgt dann jedoch das böse Erwachen, als man neben den Gesamtnutzerzahlen auch die Entwicklung über mehrere Tage zu Gesicht bekommt. Da zeigt sich, dass vermutlich ein Bot die Zugriffe an zwei Tagen extrem in die Höhe getrieben hat. Anschließend ist von den Nutzern in Vietnam jedoch nichts mehr zu sehen. „Das war ein bisschen peinlich“, gibt Springub zu. „Plötzlich war Vietnamesisch doch nicht mehr so angesagt.“
Trotz oder vielleicht gerade wegen solcher Pannen ist Jimdo in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Das hat auch am Büro des Hamburger Start-ups Spuren hinterlassen. Auf mittlerweile fünf Etagen erstreckt sich das Reich von Springub und seinen Kollegen. Immer wieder musste an-, um- und ausgebaut werden. Wände wurden eingerissen und Treppen über mehrere Stockwerke durch die Decken gebrochen. Es gibt eine Dachterrasse und auch eine Koje. Einmal pro Woche kommt jemand vorbei und bietet Massagen an. 15 Euro kostet das für 30 Minuten. Auch eine Küche leistet man sich bei Jimdo. Sam heißt der Mann am Herd. Die Mahlzeiten variieren von Hühnchen mit Salat und Backkartoffel über Lachslasagne bis hin zu Steak mit Knoblauchbrot. Jeden Tag gibt es fünf neue Gerichte, 3 Euro zahlen die Mitarbeiter für ein Essen.
Obwohl der Umzug von Cuxhaven nach Hamburg bereits sieben Jahre zurückliegt, hat das Gründerteam die Verbindung in die Heimat doch nie ganz gekappt. Auch heute ist die Stadt an der Nordsee noch ein wichtiger Außenposten für Jimdo. Immer wieder fahren Mitarbeiter und Teams ans Meer, um in Ruhe an Projekten zu arbeiten.
Quartierten sich die Teams am Anfang noch im Haus von Detzners Mutter ein, ist irgendwann damit Schluss. Denn nicht jeder fühlt sich wohl dabei, bei der Mutter des Chefs unterzukommen. Als schließlich ein Haus in unmittelbarer Nähe zur bisherigen Unterkunft frei wird, greifen Springub und Co. zu. Komplett eingerichtet kommt es nun bei so genannten „Sprints“ zum Einsatz. Mit Arbeitsplätzen, einem riesigen Wohnzimmer und zahlreichen Schlafplätzen ausgestattet, können Teams das Haus buchen, um in Ruhe an einer Sache zu arbeiten. Je nach Jahreszeit wird das Angebot gut genutzt. Mal ist es über Monate ausgebucht, mal aber auch für ein paar Wochen frei.
Das Team
Die Mitarbeiter bei Jimdo sollen sich wohlfühlen. Das merkt jeder sofort, wenn er das Büro betritt. Hier laufen Hunde durch die Gänge, überall stehen Pflanzen, und Sitzkissen liegen auf dem Boden herum. An einer großen Wand hängen Bilder mit den Köpfen und Namen der Mitarbeiter.
Wände spielen eine zentrale Rolle bei den Hamburgern. Jedes Team hat seine eigene, wo man sich täglich trifft und die Aufgaben des Tages bespricht. Fünf bis zehn Minuten dauert das, in denen jedes Teammitglied kurz darüber informiert, woran es gerade arbeitet, womit es Probleme gibt und was vielleicht anders laufen könnte.
„Wir organisieren alles in Teams“, sagt Springub. Die Hierarchien seien dadurch sehr flach. Es gibt Teams mit echten Team-Leitern, die dann auch die wichtigen Entscheidungen treffen. Es gibt Teams, in denen jeder gleichberechtigt ist. Und es gibt Teams, die sich jemanden auf bestimmte Positionen wählen.
Auch die drei Gründer arbeiten nach wie vor zusammen. Wichtige Entscheidungen treffen die Geschäftsführer gemeinsam. Detzner kümmert sich vor allem um die Produktentwicklung. Henze beaufsichtigt das Marketing und den Vertrieb. Springub ist für das laufende Geschäft also die „Operations“ zuständig. Allerdings sind die Grenzen fließend. So hat der 32-Jährige das Geschäft in den USA aufgebaut und kümmert sich auch heute noch mit ums Produkt – wenn auch nicht mehr so stark wie früher.
Wenn man Springub zuhört, merkt man, dass ihm seine Belegschaft am Herzen liegt. Er setzt sich für sie ein, spricht von fairen Bezahlungen für Praktikanten. Von gutem Gehalt für die Mitarbeiter. Aber auch davon, dass seine Angestellten nicht ausgebrannt werden. „Wir sind kein McKinsey, wo die Leute viel Geld in kurzer Zeit verdienen, aber nach zwei Jahren total durch sind. Wir wollen, dass man bei uns ein Leben neben dem Job hat und lange dabei bleibt.“
Große Schwierigkeiten, neues Personal zu finden, hat Jimdo darum kaum. Zwar kann es hin und wieder etwas dauern. Aber meistens geht es recht schnell. „Je länger man im Geschäft ist, desto weniger macht man Kompromisse bei den Mitarbeitern“, erklärt Springub die Schwierigkeiten, die hin und wieder auftreten. „Mit dem Personal steht und fällt ein Unternehmen.“ Mittlerweile tragen die Teams bei Jimdo selbst die Verantwortung für Neubesetzungen. Die Gründer sind nur noch bei 20 bis 30 Prozent der Neueinstellungen involviert. „Wir achten schon darauf, dass hinter einem Kandidaten kein Fragezeichen steht und wir 100-prozentig überzeugt sind“, sagt Springub und rät Neubewerbern, sich zweimal zu überlegen, ob sie zum Bewerbungsgespräch tatsächlich im Anzug erscheinen wollen.
Die Mitarbeiter
Springub kennt zwar alle seine 180 Mitarbeiter. „Wenn jemand neu angefangen hat und in einem Team sitzt, mit dem ich nicht so viel zu tun habe, dann kann es schon zwei bis drei Wochen dauern“, gibt der Jimdo-Gründer aber zu. Beim Kennenlernen hilft ihm unter anderem die „Teamverlötung“, die jede Woche stattfindet. Dann sitzen in Hamburg um die 160 Mitarbeiter zusammen, die Teams präsentieren, woran sie gerade arbeiten, und Neuankömmlinge stellen sich vor. „Wir achten darauf, dass jeder mitbekommt, wenn jemand bei uns anfängt“, sagt Springub.
Vorstellen musste sich auch Chris Hilbert. Der Luxemburger hatte in Tech-Blogs über Jimdo gelesen. Als er sich nach seinem BWL-Studium in den USA bei verschiedenen Firmen bewarb, war auch das Hamburger Unternehmen dabei. An seinen ersten Tag bei Jimdo kann sich der 28-Jährige noch gut erinnern. „Es war ein Freitag, der Flug aus Frankreich hatte Verspätung, und mein Gepäck schaffte es erst mit der nächsten Maschine nach Hamburg“, erzählt Hilbert. „Als ich dann gegen 18 Uhr endlich im Büro ankam, standen alle mit Wein und Bier rum und haben gefeiert.“ Zwei Stunden lang habe man sich unterhalten, es sei überhaupt nicht wie ein klassisches Bewerbungsgespräch „mit Stärken- und Schwächen-Schwachsinn“ gewesen.
Am Ende kam ein Jimdo-Mitarbeiter auf Hilbert zu, stellte sich als Hendric vor, und reichte ihm Rotwein im Halbeliterglas von Ikea. „Er fragte, ob ich noch mit ausgehen wolle. Und als ich Ja sagte, meinte er, dass ich dann schnell austrinken müsse, weil das Taxi bereitstehe.“ Um 4 habe er irgendwann im Bett gelegen, erinnert sich der BWL-Student. „Das war mein erster Tag bei Jimdo.“
Heute ist der 28-Jährige für zahlreiche internationale Projekte bei Jimdo verantwortlich. Er kümmert sich um Anfragen von alten und möglichen neuen Partnern, arbeitet mit den internationalen Teams die montäglichen Besprechungen nach, sammelt Feedback und versucht sicherzustellen, dass auch die Mitarbeiter in den USA und Asien alle auf dem gleichen Stand sind. „Das ist aufgrund der lokalen Gegebenheiten und wegen der unterschiedlichen Zeitzonen nicht immer ganz einfach.“ Sein Job wechsle jedoch gefühlt alle drei Monate, sagt Hilbert und berichtet, dass er vor nicht allzu langer Zeit zum Beispiel die kostenlose Version von Jimdo in China abstellen musste, weil sich die Regierung über zu viele Spam-Seiten beschwert hatte.
Beschwerden laufen in der Zentrale in Hamburg ein. Auch beim Team von Eila Lifflander. Die 32-Jährige kam 2008 zu Jimdo und ist als Head of International für die Internationalisierung verantwortlich. Dazu gehören neben viele Telefonaten mit den Ländern auch Besuche von Messen. „Wir nutzen solche Gelegenheiten, um Partner vor Ort zu besuchen und für unser Produkt zu werben“, erzählt Lifflander, die ein Studium der internationalen Wirtschaft abgeschlossen hat.
Als sie bei Jimdo anfing, hatte das Unternehmen noch keine zehn Mitarbeiter. Die gebürtige Kolumbianerin kam als Studentin zur Firma von Springub und arbeitete dort zunächst 20 Stunden die Woche als Übersetzerin. Heute ist sie Vollzeit angestellt und koordiniert auch die Aktivitäten des größten Teams bei Jimdo. Mehr als zehn Personen sorgen dafür, dass die Programme in Lateinamerika und Spanien ohne Probleme laufen. Die spanischsprechende Community ist mit über zwei Millionen Mitgliedern die größte bei Jimdo. „Mir gefällt besonders gut, dass man hier viele Freiheiten genießt und sich so viel Zeit lassen kann, wie man braucht“, sagt Lifflander. „Außerdem ist das Team super. Es gibt so viele Sprachen, und man kann so viel von den unterschiedlichen Kulturen lernen.“
Während man in einer Bank vor allem Bankkaufleute und BWL-Studenten findet, ist bei Jimdo wirklich alles dabei. „Wir stellen natürlich auch ganz anders ein“, sagt Springub. Man blicke nicht so sehr darauf, ob und was jemand studiert hat. „Bei den Entwicklern haben natürlich ein paar Mathematik oder Informatik studiert“, erklärt der Cuxhavener. Aber man könne nicht sagen, dass die Mehrheit einen ähnlichen Hintergrund hat. „Es gibt eine Menge Quereinsteiger“, sagt Springub und zeigt auf das Bild eines Mitarbeiters an der Wand. „Manchmal bin ich dann überrascht, dass jemand tatsächlich das studiert hat, was er bei uns macht.“
Dennis Manzke ist fürs Controlling bei Jimdo zuständig. Und er ist verantwortlich für den Einkauf von Paletten an Klopapier, die eine Zeit lang mehrere Räume bei den Hamburgern füllten. Eine Geschichte, die auch heute noch gerne erzählt wird. „Wir hatten immer ein Hausmeisterpärchen, das solche Dinge für uns eingekauft hat“, erzählt der 32-Jährige. Weil die jedoch alle zwei Wochen mit einem Auto vollbepackt mit Klorollen ankamen und man einen besseren Preis herausschlagen kann, wenn auf einen Schlag viel mehr bestellt wird, entschied sich Manzke irgendwann dafür, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Er telefonierte mit einem Händler und fragte den zuständigen Mitarbeiter, wie viel man denn ungefähr für ein Jahr brauchen würde. „Das musste er schließlich wissen, ich hatte ja keine Ahnung“, verteidigt sich der 32-Jährige heute. „Man nannte mir eine Zahl und eine Summe. Allerdings hatte ich nicht wirklich eine Vorstellung davon, wie viel es am Ende sein würde.“ Anschließend fuhr er in den Urlaub. Und dachte nicht weiter darüber nach. Das böse Erwachen folgte ein paar Tage später.
„Irgendwann bekam ich einen Anruf aus Hamburg. Ein Kollege war dran, der mich frage, was denn da los sei“, erzählt Manzke. Ein Lkw war auf dem Hof vorgefahren, sechs Paletten bis oben beladen mit Klopapier. „Da habe ich dann bei der Firma angerufen und gefragt, wie das passieren konnte.“ Es stellte sich heraus, dass der Mitarbeiter dort neu war und auch nicht hatte einschätzen können, wie viel Ware es am Ende sein würde. Also nahm man es mit Humor, baute Sofas aus den Klopapierrollen, und Springub konnte seine Mutter beeindrucken – „jemanden, der immer auf Vorrat kauft“ –, als er ihr das Lager zeigte.
Obwohl Jimdo versucht, sich den Charme eines Start-ups zu bewahren, gibt es heute natürlich auch Abteilungen wie Personalmanagement und Controlling. Bei Steuern und Personalabrechnungen bekommt man Hilfe von der Familie. Der Vater von Springub ist Steuerberater und kümmert sich um die Finanzen. „Der hilft uns, seit wir 16 sind. Es läuft alles“, sagt der 32-Jährige.
Feste Arbeitszeiten? Gleitzeit? Schichtdienst? Das gibt es alles nicht bei Jimdo. „Uns ist wichtig, dass es passt. Wenn die tägliche Besprechung um 10 Uhr ist, dann muss man auch um 10 Uhr da sein“, sagt Springub. Ein Team habe diesen Termin allerdings auf 12 Uhr gelegt. „Dort gibt es jemanden, der schafft es morgens nicht früher. Der sitzt dafür abends aber auch bis zehn hier“, erzählt der Gründer. „Jeder findet seinen Rhythmus. Es muss nur Überschneidungspunkte mit dem Team geben.“ Wenn etwas abgesprochen ist, dann ist es den Chefs relativ egal.
Wie ihr Unternehmen geführt wird, das ist Springub und seinen Mitgründern allerdings sehr wichtig. Immer wieder haben sie in den vergangenen Jahren andere Firmen besucht. Ständig befindet man sich im Austausch mit weiteren Gründern. Man versucht, von den Fehlern der anderen zu lernen und es im Zweifel besser zu machen. Ein Berater und Freund hat sogar ein Buch über die Personalführung und das Management bei Jimdo geschrieben. „Wir haben uns andere Unternehmen angesehen und versucht, gute Ideen zu übernehmen“, erklärt Springub. Mit Spotify hat man sich getroffen, bei Foursquare reingeguckt – aber auch bei Ericsson. „Fridel, Matze und ich – wir reden natürlich viel mit anderen Gründern und fragen, wie sie das und das geregelt haben.“ Anscheinend mit Erfolg. Das Team ist jung und mit seinen Chefs gewachsen, die Fluktuation niedrig. Auch langweilig wird es nie. Dafür sorgen so genannte Meilensteine, die regelmäßig in Angriff genommen werden. Wie vor ein paar Monaten erst die eigene Android-App.
Die Apps
Vor gut einem Jahr hatte Jimdo die erste eigene App vorgestellt – für Apples mobiles Betriebssystem iOS. Webseiten-Betreiber können seitdem ihre Seiten auch auf Smartphones und Tablets anpassen und mit Inhalten füllen. Zwölf Monate dauerte die Entwicklung. Alles wurde selbst programmiert.
Obwohl bereits drei Wochen nach dem Start ein erster Prototyp fertig war, zogen sich die Arbeiten am Ende noch etwas länger hin. Das lag laut Springub vor allem an den vielen Dingen, die man neu lernen musste. Denn im Vergleich zum Homepagebaukasten, der bei Jimdo bis zu 25 Mal am Tag ein Update erfährt, ist es bei der Software-Version einer App komplizierter. „Wenn man eine kaputte Version zu Apple schickt, dann hat man ein Problem“, sagt 32-Jährige. Beim Jimdo-Code könne man hingegen sofort daran schrauben, wenn etwas nicht läuft. „Das geht dann gleich live.“
Weil viele Kunden ein iPad nutzen, setzten die Gründer zum Start auf Apples iOS-Plattform. Doch bereits früh war klar, dass eine Android-Version folgen würde. Ein Jahr später war es dann schließlich soweit. Seit Ende Oktober ist Jimdo nun auch in Googles Play Store erhältlich und soll, wenn es nach Henze geht, ein ebenso großer Erfolg wie die iOS-Variante werden. Die wurde bis heute insgesamt 400.000 Mal heruntergeladen.
Die Investoren
Auch wenn man sich bei Jimdo nicht zu Umsatz und Gewinn äußern möchte, scheint das Geschäft gut zu laufen. Über zwölf Millionen Webseiten wurden bislang weltweit mithilfe von Jimdo erstellt – die meisten kostenlos. Wie viele zahlende Kunden darunter sind, will Springub nicht sagen. „Genug, um die vielen Mitarbeiter und Büros überall auf der Welt zu bezahlen“, lässt sich der Firmengründer entlocken. Das war allerdings nicht immer so.
Kurz nach dem Start erstellten die Gründer in Cuxhaven einen Businessplan, mit dem sogar ein Wettbewerb gewonnen wurde. Springub, Detzner und Henze wollten die Zahlen einmal zu Papier bringen, mit allem was dazugehört. „Wir haben uns gesagt: Wenn wir das und das nicht erreichen, dann hören wir auf“, erzählt Springub. Und natürlich wurden die Ziele in den ersten eineinhalb Jahren nicht erreicht. Obwohl man hätte aufhören müssen, stellte sich diese Frage trotzdem nicht, sagt der 32-Jährige heute. „Diesen Moment, an dem man überlegt alles hinzuschmeißen, den hat es eigentlich nie gegeben.“ Tatsächlich war es eher so, dass potenzielle Investoren bei Jimdo in den vergangenen Jahren Schlange standen.
Wenn es ans Eingemachte geht, dann überfällt den sonst so redseligen Springub doch wieder die typisch norddeutsche Verschwiegenheit. Über Geld spricht er nur ungern. „Wir haben nie Risikokapital in Anspruch genommen.“ Soviel verrät er. Ganz am Anfang habe es eine Finanzierungsrunde für „Angel, Family and Friends“ gegeben, erzählt Springub. Die Samwer-Brüder stiegen über ihren European Founders Fund 2007 ins Unternehmen ein.
„Je größer wir geworden sind, desto mehr Interesse an Jimdo gab es von Risikokapitalgebern“, berichtet der Mitgründer. „Wir waren profitabel und international ausgerichtet – das hat uns attraktiv gemacht.“ Außerdem wuchs der Markt. Die Konkurrenz um Wix und Weebly sammelte Millionenbeträge bei den großen Venture-Capital-Investoren ein – „und plötzlich wollte jeder in dem Markt dabei sein“, erinnert sich Springub. Auch bei Jimdo wurde immer wieder angefragt.
Also setzte man sich alle paar Wochen wieder zusammen, um über das Thema zu sprechen. „Es gibt schließlich gute Gründe für Risikokapital“, sagt Springub. Man habe in den Gesprächen mit potenziellen Geldgebern auch viel gelernt. „Da stecken sehr kluge Menschen dahinter, die den ganzen Markt im Blick haben und einem auch mal den Spiegel vorhalten können.“
Aber je häufiger man sich zusammensetze, desto größer wurde der Frust. „Irgendwann hatten wir die Schnauze voll“, erzählt der 32-Jährige. Man wollte raus aus der Theorie. Man wollte ausprobieren, wie es sich anfühlt. Ein Pitch. Harte Zahlen. Das ewige Spekulieren, das ständige „was wäre wenn?“ hatte Spuren hinterlassen.
In den kommenden Wochen trafen sich die Gründer mit Menschen im Silicon Valley, reisten in Europa herum gaben potenziellen Investoren die Möglichkeit, Angebote abzugeben. Es dauerte nicht lange, da kamen die ersten Antworten. Auch von den ganz Großen. Ein internationaler „Big Player“ war dabei, der sowohl menschlich als auch finanziell überzeugen konnte.
Mitte Dezember ging das Angebot ein, und in den kommenden Tagen setzen sich Springub, Henze und Detzner zusammen und diskutierten die Sache aus. „Es war ein ständiges Hin und Her. Der, der heute dafür war, war am folgenden Tag dagegen.“
Am Ende lief es auf zwei zentrale Punkte hinaus. „Wir können uns nicht vorstellen, uns vom Unternehmen zu trennen“, sagt Springub. „Das kann sich natürlich irgendwann ändern. Aber im Moment ist es nicht unser Ziel.“ Man wollte die Firma aufbauen und ausbauen. Risikokapitalgeber seien jedoch vor allem an Gewinnen interessiert. „Sie wollen nach fünf bis acht Jahren einen Großverkauf – oder einen Börsengang“, erklärt der Gründer. „Und auch das ist nicht geplant.“ Natürlich habe man sich mit einem IPO beschäftigt und wisse auch, was das bedeutet. „Es ist uns auch lieber als beispielsweise ein Komplettverkauf an Google.“ Aber große Lust habe man bei Jimdo darauf nicht.
„Wir haben uns mit Lars Hinrichs unterhalten. Und auch mit vielen anderen Menschen bei Xing“, sagt Springub. In mehreren Gesprächen erfuhr man, wie ein Börsengang den Unternehmensalltag verändert. „Es gab viele Dinge, die wir einfach nicht wollten.“ Und wenn man nicht die gleichen Ziele habe, lohne sich weder ein Börsengang noch der Einstieg eines Risikokapitalgebers. Darum erhielt der Investor nach einigen Tagen Bedenkzeit eine Absage.
Es gab jedoch noch weitere Gründe. Springub hält gemeinsam mit seinen Kollegen knapp 75 Prozent an Jimdo und muss sich darum keine Sorgen machen, wenn eine wichtige Geschäftsentscheidung ansteht. „Als Dreier-Team verstehen wir uns gut. Da einem Außenstehenden einen Platz zu geben, das überlegt man sich zweimal“, sagt er.
25 Prozent an Jimdo halten die Samwer-Brüder mit ihrem European Founders Fund. „Die Samwers haben ihren Ruf“, sagt Springub. „Aber wir sind ja keine Rocket-Internet-Ausgründung. Oder ein Klon.“ Der Einstieg sei vielmehr ein Investment eines Unternehmens in ein anderes gewesen. „Und darum muss ich wirklich sagen: Bessere Investoren hätte ich mir nicht vorstellen können.“
Wenn über jüngere Erfolgsgeschichten aus Deutschland gesprochen wird, dann fallen meist Namen wie Xing und Zalando. Jimdo taucht – wenn überhaupt – erst viel später auf. Springub sagt, das liege vor allem daran, dass zunächst immer auf den Umsatz und mögliche Exit-Chancen geblickt werde. Wenn es aber um deutsche Unternehmen gehe, die in den vergangenen Jahren international überzeugen konnten, dann sei auch Jimdo ganz vorne mit dabei. „Hätten wir Risikokapital angenommen und würden wir demnächst an die Börse gehen, dann würde man uns wohl mit Xing und Zalando in einem Atemzug nennen.“ Aber meist stände der Umsatz im Vordergrund.
Auf der Suche nach Investoren traf man sich 2007 auch mit Nico Lumma, der damals bei Media Ventures arbeitete. „Das war eher eines der unüblicheren Gespräche, aber eben auch um so netter“, erinnert sich der ehemalige Social-Media-Direktor von Scholz & Friends. Eine Finanzierung kam trotzdem nicht zu Stande. „Die Jungs arbeiten sehr hart, feiern allerdings noch härter“, schreibt Lumma in seinem Blog. Daran sei es aber nicht gescheitert. Vielmehr habe ihm damals die Fantasie gefehlt, sich vorzustellen, dass Jimdo einmal so erfolgreich sein könnte wie es heute ist. Auch ganz ohne große Schilder am Zaun.