Der Geigenbauer
Die Geige auf dem Holztisch sieht aus, als wäre sie in vielen Jahren durch zahlreiche Hände gegangen. Unter dem glänzenden Lack sind schwarze Spuren zu erkennen. Ungleich sieht die Verarbeitung aus. So, als hätten schon einige Musiker auf ihr gespielt. Einzig: Die Geige ist neu.
Roland Erichson hebt sie behutsam vom Tisch. Er sieht zufrieden aus. „Natürlich möchte man bei einem neuen Instrument nicht gleich das Holz beschädigen. Darum sind die meisten Korrekturen nur kosmetischer Art.“ Die Geige vor ihm ist mit 1,4 Millionen Euro versichert. Zumindest das Original. Erichson arbeitet an einer Kopie. Er ist Geigenbaumeister und hat sich auf Replikationen spezialisiert.
Sein Handwerk hat der 53-Jährige bei seinem Vater Jörn Erichson erlernt. Der kam 1960 nach Kassel und eröffnete am Königstor eine Werkstatt. Nur wenige Jahre später zog man um. Über Am Hahnen ging es schließlich in den Bilsteiner Born, wo Roland Erichson heute tätig ist und jetzt das 50-jährige Jubiläum plant.
Nach Gesellenjahren bei seinem Vater und bei Willem Bouman in Den Haag legte er 1987 seine Meisterprüfung ab und kaufte im gleichen Jahr das Geschäft seines Vaters. Den zog es über Göttingen schließlich nach Bad Gandersheim, wo er auch heute noch im Alter von 79 Jahren eine kleine Werkstatt betreibt. „Solange die Augen mitmachen und man ruhige Hände hat, kann man arbeiten“, sagt Roland Erichson.
Komplexe Angelegenheit
Während der Vater sich auf barocke Instrumente spezialisierte, entdeckte der Sohn die Restauration und Replikation für sich. Gerade Letzteres sei eine sehr komplexe Angelegenheit“, erzählt er. So muss das richtige Holz eingekauft, Abdrücke und Vorlagen vom Original erstellt und die richtige Lackierung gefunden werden. „Und manchmal kostet es auch Überwindung“, sagt Erichson. Er deutet auf das Bild einer Geige von Guarneri del Gesù. „Diese F-Löcher sind sehr unregelmäßig. Da fällt es schwer, sich ans Original zu halten.“
Genau das wünschen sich aber die Kunden. Seine Auftraggeberin besitzt die Original-Geige, möchte aber die Versicherung nicht mehr zahlen. Durch den Nachbau kann sie auch weiterhin Geige spielen, denn vom Grundcharakter seien beide Exemplare gleich, sagt Erichson.
Zwei Geräte baut er pro Jahr. 15 000 Euro für eine Geige, 30 000 Euro für ein Cello bekommt er dafür. Hinzu kommen zahlreiche Reparaturaufträge. Für einen Freund baute er ein XXL-Cello, und auch die Schnecke am oberen Ende des Instrumentenhalses hat er schon durch einen Löwenkopf mit Elfenbeinzähnen ersetzt. Viel Zeit bleibt ihm dafür jedoch nicht. Darum beneidet er die alten italienischen Geigenbauer auch ein wenig: „Die hatten noch kein Telefon und keinen Verkaufsraum.“
Fotos und Text: Jörgen Camrath – Quelle: HNA