Beim Sternekoch
Das Schicksal eines Sterne-Kochs liegt in den Eingeweiden einer Muschel. Unter der Schale, zwischen schwarzen Innereien und orangerotem Rogen, liegt der weiße Muskelstrang. Auf ihn hat es der Koch abgesehen. Er ist alles, was am Ende auf den Tellern der Gäste landet. Jörgen Camrath begab sich auf Muschelsuche.
Ich war gekommen, um zu kochen. Doch zu kochen bekam ich nicht viel. Am Ende blieb es beim Öffnen einer Jakobsmuschel. Und beim Probieren.
Es ist sauber im Gourmet-Restaurant Philipp Soldan in Frankenberg. Das fällt auf. Benutzte Pfannen werden sofort weggeräumt und abgespült, für schmutzige Arbeitsflächen ist immer ein Lappen zur Hand. Die Schränke glänzen silbern, die Küche wirkt steril – wie ein Operationssaal sieht es aus. Und tatsächlich: auch hier landen Körper auf dem Tisch, auch hier wird mit scharfen Messern geschnitten, auch hier liegt der Geruch von Fleisch in der Luft. „Das ist vielen oft nicht klar“, erzählt Küchen-Chef und Sterne-Koch Florian Hartmann. „Wenn abends der letzte Gast gegangen ist, fangen wir an zu putzen.“ Hygiene ist wichtig.
Darum spielt auch Plastik in der Frankenberger Sterneküche eine wichtige Rolle. Es wird „mise en place“ gearbeitet. Das bedeutet, so viele Zutaten wie möglich werden vorbereitet und in Plastiktüten luftdicht verpackt. Denn wenn am Abend die Gäste kommen, muss es schnell gehen. „Länger als eine halbe Stunde sollte niemand auf sein Essen warten müssen“, sagt Hartmann. Nach Arbeitsbeginn am Mittag sind der 31-Jährige und seine Mitarbeiter darum die meiste Zeit mit Vorbereitungen beschäftigt. Königskrebse werden gekocht, Wachteln zerteilt und Tranchen vom Hirschkalbsrücken vom Knochen getrennt.
Dosenzwiebeln zum Mittag
Um 17 Uhr ist Pause. Es gibt Hot Dogs. „Mahlzeit“-Bekundungen schallen durch die Gänge des Hotels. Im Würstchen-Wasser der Großküche schwimmen getrocknete Wacholderbeeren. Immerhin. Dazu gibt es Mayonnaise, Ketchup, Senf, Gurken und geröstete Zwiebeln aus der Dose. Der Sterne-Koch rümpft leicht die Nase. In seiner kleinen Küche im Keller des Hotels wurden die Zwiebeln kurz vorher noch selbst geröstet. Hier kommen sie aus der Dose.
Doch ein Sterne-Koch ist auch nur ein Mensch. „Natürlich werde ich schief angeguckt, wenn ich erzähle, dass ich bei McDonalds war“, sagt der gebürtige Schwabe. Aber selbst bei einem Döner vergisst er seine Ausbildung nicht. „Wenn in der Soße Petersilie ist, dann frage ich mich schon, was die da sucht.“
Die Pause ist vorbei. Jetzt will ich mich an einer Muschel probieren. Was bei Sebastian Gnau, Chef Saucier und Junior Souschef, nur wenige Sekunden dauert, will bei mir nicht richtig klappen. Noch einmal lasse ich mir zeigen, was genau zu tun ist. Dann ein neuer Versuch: Vorsichtig schiebe ich das Messer zwischen die Schalen. Dann fahre ich mit einem Ruck an der hinteren Innenseite mit der Klinge nach unten. Jetzt lässt sich die Jakobsmuschel öffnen. „Fürs erste Mal nicht schlecht“, sagt Hartmann. Er zeigt mir, wie der Muskelstrang von den Eingeweiden getrennt wird. Alles andere – und damit der Großteil – landet im Müll.
Fischzunge zum Reinbeißen
Bei den Preisen, die die frischen Waren kosten, verlässt mich schnell der Mut. Statt mich weiter an der Zubereitung zu versuchen, verlege ich mich aufs Probieren. Dehydrierte Tomaten mit Thunfisch: ein Traum. Nur bei den Fischzungen hadere ich kurz. Dann wandert die Zunge eines norwegischen Kabeljaus über meine Zunge in den Magen. Erstaunliches passiert: Es schmeckt. Salzig und richtig fischig.
Um 19 Uhr kommen die Gäste. Man will den Besuchern etwas bieten. „Wir verkaufen auch Emotionen und bespaßen die Gäste“, sagt Florian Hartmann. „Wer nur satt werden will, kann einen Döner essen.“ Ohne Petersilie, versteht sich.
Florian Hartmann (31) wurde in Michelfeld in Baden-Württemberg geboren. Seine Ausbildung zum Koch machte er von 2000 bis 2003 im Hotel Traube in Tonbach. Anschließend arbeitete er als Chef de Partie in der Erlebnisgastronomie von Harald Wohlfahrt in Hamburg, in der Hostellerie Larfarque in Pepinster, Belgien, und im Gourmet-Restaurant Foliage in London. Im April 2006 folgte der Wechsel als Chef de Partie Poissonier und Saucier zum Tafelhaus von Christian Rach nach Hamburg, bevor er im Mai 2007 eine Stelle als Chef de Partie Gardemanger im Hotel Residencia auf Gran Canaria annahm. Nach zwei Jahren als Souschef im Ringhotel Adler in Asperg kam Hartmann im September 2009 als Küchenchef zum Gourmet-Restaurants Philipp Soldan. Er ist ledig und wohnt in Battenberg.
Das Gourmet-Restaurant Philipp Soldan in Frankenberg öffnete im Oktober 2009 seine „neuen“ Türen. Ein achtköpfiges Küchen- und Serviceteam betreut von Dienstag bis Samstag die bis zu 24 Gäste. Namensgeber war der Holzschnitzer und Formenschneider Philipp Soldan, der vor über 500 Jahren im Frankenberger Land seine Spuren hinterließ. Auf der Karte des Restaurants, das jeweils um 18 Uhr öffnet, finden sich abwechselnde Speisen wie Kalbszungencarpaccio, Lebercroustini oder Tranchen vom Hirschkalbsrücken. Ein so genanntes Degustationsmenü mit acht Gängen kostet pro Person 99 Euro.
(Erschienen am 4. Mai 2011 in der HNA – Frankenberger Allgemeine. Download der Seite als Artikel hier.)