Twitters Versuchskaninchen

Eine überarbeitete Suchfunktion, ein stärkerer Fokus auf Fernsehsendungen und Vorschläge bei persönlichen Nachrichten: Am Dienstag hat Twitter seinen Apps mal wieder ein Update und ein paar neue Funktionen spendiert. Aber auch wenn die neuen Features ganz nett sein mögen – die wirklich großen Veränderungen bekommen 99 Prozent der Nutzer gar nicht mit.

Heimlich, still und leise hat Twitter damit begonnen, ausgewählten Anwendern des sozialen Netzwerkes Funktionen zu präsentieren, die noch gar nicht marktreif sind – und es vielleicht auch nie sein werden. Seit die jüngsten App-Updates bereitstehen, machen Berichte die Runde, in denen sich einige Nutzer über seltsame Neuheiten wundern. Matthew Panzarino von TechCrunch schreibt, dass er neuerdings mit einem netten Popup darüber informiert wird, wenn er ein Fav bekommen hat oder ein Beitrag retweetet wurde.

Mike Isaac von AllThingsD berichtet von unterschiedlichen Schriftgrößen und einem stärkeren Fokus auf persönliche Nachrichten. Er sehe zwar kein radikal neues Design. Die vielen kleinen Änderungen würden dennoch für ein bekanntes aber auch neues Nutzerempfinden sorgen.

Vollkommen anders sieht hingegen die Oberfläche bei Justin Williams aus. Er hat einen Screenshot veröffentlicht, der in der Tat sehr experimentell daherkommt.

Aber was steckt nun eigentlich dahinter? Warum bekommen manche Twitter-Nutzer spezielle Funktionen präsentiert, die andere nicht sehen?

Der Grund ist ganz einfach: Bevor Twitter ein neues Feature für alle verfügbar macht, wollen die Entwickler es testen. Sie wollen herausfinden, ob du und ich es tatsächlich nutzen. Sie wollen wissen, ob es uns gefällt. Das ist nur verständlich – und Twitter ist mit diesem Vorgehen längst nicht alleine.

Mitte September veröffentlichte das Unternehmen einen Blog-Post, in dem genau auf diese Experimente eingegangen wurde. Alex Roetter schrieb damals:

We’ve tested various features with small groups of our 200 million users before determining what we’ll release.

Und weiter:

In recent months, that trend has picked up –– so much so that it’s rare for a day to go by when we’re not releasing at least one experiment. […] So what does this mean for you? You may see some features that your friend doesn’t see, or vice versa.

Ein bis zwei Prozent der über 200 Millionen aktiven Twitter-Nutzer kommen hin und wieder in den Genuss, Teil eines Twitter-Experiments zu sein. Manchmal können sie selbst darüber entscheiden (wie im Falle von @MagicRecs und @EventParrot), manchmal haben sie keinen Einfluss darauf.

Auch ich wurde schon als Versuchskaninchen missbraucht. Vor ein paar Wochen war es plötzlich möglich, persönliche Nachrichten von Twitter-Nutzern zu empfangen, auch wenn man diesen selbst nicht folgt. Über die Einstellungen ließ sich das Feature einfach aktivieren. Mittlerweile ist die Option aber nicht nur bei mir wieder verschwunden. Anscheinend sind sich die Entwickler noch nicht einig, ob wir diese Funktion nun wirklich brauchen. (Ich persönlich mochte sie ja ganz gerne.)

Was bleibt, ist die Frage, ob sich Twitter mit diesem Verhalten einen Gefallen tut. Weil nur ein Bruchteil der Nutzer überhaupt etwas von den verborgenen Experimenten mitbekommt, ist das Risiko relativ gering: Läuft etwas schief oder wird es nicht akzeptiert, kann schnell gegengesteuert werden. Die Entwickler haben also jede Menge Zeit und Möglichkeiten, sich auszutoben.

Allerdings ist genau das auch ein Problem: Die Firma testet und testet, ohne eine eindeutige Linie zu fahren. Es wird herumexperimentiert, immer auf der Suche nach dem perfekten Twitter. Mike Isaac beschreibt es schön bildlich:

Instead of making a hard and fast decision, Twitter wants to throw lots of spaghetti at the wall and see what sticks.

Bis Twitter sich selbst gefunden hat, werden daher zumindest ein bis zwei Prozent von uns noch ziemlich viele Spaghetti essen müssen. Solange sie gut schmecken, dürfte das aber kaum ein Problem sein.

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