„Nur Arschloch ist zu wenig“
Fußball-Kommentatoren haben es in Deutschland nicht leicht. Davon kann auch Béla Réthy ein Lied singen. Der 57-Jährige hat bereits mehrere Shitstorms hinter sich. Warum er mit Twitter, Facebook und Co. nichts anfangen kann, und wieso sich mit der WM in Brasilien für ihn ein Kreis schließt, hat er im Interview erzählt.
Als ich vor einem Jahr den Kommentar von Béla Réthy zum Champions-League-Finale abtippte und hier im Blog veröffentlichte, war mir nicht klar, was für eine Aufmerksamkeit das erregen würde. Es war am Sonntagabend, als ich einen ersten Tweet absetzte, der auch ein paar Mal geteilt wurde. Doch ansonsten blieb es ruhig.
Am Montagmorgen im Büro vibrierte mein Smartphone dann schon im Sekundentakt. Die Zugriffe auf meine Seite schnellten in die Höhe – und plötzlich riefen 11 Freunde und die Abendzeitung an und wollten Interviews führen.
In den folgenden Tagen verbreitete sich die Geschichte überall im Netz. Noch heute schlägt Google bei einer Suche nach meinem Namen als Ergänzung „Béla Réthy“ vor. Die über 25.000 Pageviews auf joca.me an einem einzigen Tag sind bis heute unerreicht.
Ein Jahr ist jetzt vergangen, das nächste Champions-League-Finale steht vor der Tür, und nein – ich werde diesmal nicht mitschreiben, auch wenn Béla Réthy erneut das Spiel kommentieren wird.
Weil ich das alles nicht so stehenlassen wollte, habe ich vergangene Woche mit dem 57-Jährigen telefoniert. Wir haben über das anstehende Finale, soziale Medien und Shitstorms, die WM in Brasilien und natürlich über die Aktion vom vergangenen Jahr gesprochen.
Sie werden auch dieses Jahr wieder das Champions-League-Finale im ZDF kommentieren. Damals standen zwei deutsche Teams im Finale. Diesmal sind es zwei spanische. Was wird noch anders sein?
Der Wahrnehmungsgrad in Deutschland wird ein anderer sein. Ohne deutsche Beteiligung werden weniger Menschen einschalten. Für uns Kommentatoren ändert sich dadurch aber nichts. Nur, dass es diesmal um die Madrider Stadtmeisterschaft geht.
Also auch keine andere Vorbereitung?
Nein. Der technische Ablauf ist ähnlich. Bei einem deutschen Finale gibt es kaum etwas vorzubereiten. Da prasselt so viel auf einen ein, und man muss nur noch bündeln und filtern, damit es am Ende nicht zu viel ist.
Ich habe das Hinspiel von Real Madrid im Halbfinale gegen Bayern München kommentiert. Das ist im Prinzip alles schon fertig und wird nur aktualisiert. Atlético schaue ich mir dann noch etwas genauer an. Aber vom Ablauf ist das kein großer Unterschied im Vergleich zum letzten Jahr.
Wann sind Sie immer an Ihrem Platz? Bekommt man vorher noch etwas von der Stimmung vorm Stadion und in der Stadt mit?
Ich versuche immer relativ spät ins Stadion zu kommen, um etwas von der Stimmung mitzukriegen. Im Schnitt sind wir drei Stunden vor Anpfiff da. Da ist es schon relativ voll in der Stadt.
Dann gehe ich meist noch in den Innenraum, bin eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff unten bei den Trainerbänken, beim Warmmachen. Manchmal ergibt sich die Chance, am Rasen noch mit dem ein oder anderen zu reden. Das ist so mein Ritual.
Vor einem Jahr hatte ich aus einer Laune heraus Ihren Final-Kommentar abgetippt. Wie haben Sie davon erfahren?
Das habe ich bei 11 Freunde auf der Homepage gesehen. Ich lese die manchmal. Da war ein Hinweis, und dann habe ich geguckt und es gefunden.
Was war die erste Reaktion?
Meine erste Reaktion war, dass das eigentlich komplett bescheuert ist. Ohne Bild ist so ein Text ja nicht brauchbar. Der Kommentar ist eine Unterstützung des Bildes. Ich dachte, dass es vielleicht den Inhalt verfremdet, weil das Bild fehlt.
Haben Sie reingelesen?
Ja. Und ich muss sagen, dass es sich gar nicht so schlimm angehört hat, wie ich dachte. Das war fast ein richtiger Text.
Manchmal macht man ja nur eine Bemerkung. Es fällt nur ein Wort. Im normalen Leben sagt man das ja nicht, sondern spricht in ganzen Sätzen. Im Fernsehen ist das nicht notwendig.
Aber das war ok. Ich fand das ganz lustig. Viele Leute haben mich darauf angesprochen.
Kritik gab es für den Finalkommentar kaum. Im Viertelfinalspiel zuvor – zwischen Bayern München und Juventus Turin – war das noch ganz anders.
Wegen einer Formulierung…
Genau.
Das wurde völlig schwachsinnig ausgelegt.
Ich hatte gesagt, dass sei kein Feuerwerk am Po. Turin liegt am Po. Wenn ich in Köln gesessen hätte, hätte ich vielleicht gesagt: „Kein Feuerwerk am Rhein“. Und in Wien: „Kein Feuerwerk an der Donau“. Nun war es aber der Po. Und da hat man mir irgendwelche Scherzversuche unterstellt. Allein die Idee ist absurd. Aber gut. Da muss man mit leben.
Hatte das Auswirkungen darauf, wie Sie im Endspiel kommentiert haben?
Nein.
Es gab ja zwei Shitstorms. Einmal in Turin. Und dann in Barcelona. Ich hatte gesagt, dass der Flitzer der Bruder von Ribery sein könnte. Weil er ihm so ähnlich sah und sich die beiden so nett unterhalten haben. Das war im Halbfinale.
Das war der vorletzte Satz der ganzen Reportage. Sofort gab es zahlreiche Tweets, einen Shitstorm, und das multiplizierte sich dann auch in der Wahrnehmung.
Aber nein – ich habe überhaupt nicht anders kommentiert. Für mich disqualifiziert sich jegliche Form von Kritik, wenn man solch eine Welle macht. Dann kann man das nicht mehr ernst nehmen.
Wie ist das, wenn man sich als Kommentator ständiger Kritik ausgesetzt sieht? Wie geht man damit um?
Das würde ich gar nicht so sagen. Kritik ist ja nicht verkehrt. Aber nur Draufhauen, das ist zu wenig. Das ist keine Kritik.
Zu Kritik gehört ein ganzer Satz. Subjekt, Prädikat, Objekt – vielleicht auch eine Begründung. Irgendetwas, worauf man reagieren könnte. Nur Arschloch ist zu wenig.
Kriegen Sie mit, was während des Spiels auf Twitter, Facebook und sonst überall geschrieben wird?
Nein. Da muss ich mich auf meine Arbeit konzentrieren.
Aber wir haben Kollegen in der Online-Redaktion. Die haben einen Blick darauf. Und wenn ich Michael Neuer statt Manuel Neuer gesagt habe, dann sagen die schon mal Bescheid, dass es gerade einen Sturm gibt. Dann kann ich reagieren. Aber normalerweise bekomme ich das nicht mit.
Sind Sie denn selbst bei Facebook und Twitter angemeldet?
Nein. Ich gehöre wohl zu einer Generation, die sich noch unterhält und anruft – sich persönlich trifft. Das klingt wie Steinzeit, aber ich mache das immer noch so.
Wobei das ZDF bei den sozialen Medien ja ganz vorne mit dabei ist. Ist noch niemand auf Sie zugekommen und hat gesagt: „Mach doch mal!“?
Nee. Ich muss das nicht machen.
Aber ich helfe natürlich. Ich war bei einem Hangout dabei und kooperiere mit den Kollegen, die dafür verantwortlich sind. Aber privat als Béla Réthy habe ich weder einen Facebook-, noch einen Twitter-Account.
Ich will nicht kategorisch ausschließen, dass sich das irgendwann ändert. Bisher habe ich aber nichts vermisst. Und wirklich spannend war das, was ich dort bislang gelesen habe, auch nicht. Wenn jemand schreibt, dass er gerade in der Pizzeria sitzt. Oder dass sein Zug morgens um halb acht geht. Ja und?
Lesen Sie denn wenigstens in den Zeitungen, was dort über Ihre Leistung geschrieben wird?
Das passiert ja ganz automatisch, wenn man die Zeitung liest. Aber da gibt es nur ganz wenig. Das hat sich in den vergangenen Jahren ins Netz verlagert.
Bewertungen wird es natürlich immer mal wieder geben. Gerade jetzt zur WM. Da ist es sehr verbreitet. Da machen es auch Zeitungen, die das sonst nie tun. Das ist auch für die Print-Kollegen ein besonderer Augenblick.
Wie ist das in Ihrem Beruf? Sieht man sich die Spiele der Kollegen an und gibt sich gegenseitig Feedback?
Direktes Feedback nicht. Aber wir treffen uns natürlich ständig. Auch mit den Kollegen von anderen Sendern. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, und wir wissen genau, wie der Beruf funktioniert.
Wir machen alle Fehler. Und dann steinigen wir uns natürlich nicht gegenseitig. Wir tauschen uns inhaltlich und informell aus. Wenn jemand exklusive Informationen hat, dann gibt er die auch senderübergreifend schon mal weiter. Das gleicht sich schließlich aus. Man sieht sich immer mehrfach im Leben.
Können Sie sich noch an das erste Spiel erinnern, das Sie kommentiert haben?
Das erste große Spiel zur besten Sendezeit bei den Männern war 1992 der Supercup in Hannover.
Hannover hatte damals als Zweitligist den Pokal gewonnen und spielte gegen den damaligen deutschen Meister, den VfB Stuttgart. Das war direkt nach den Olympischen Spielen in Barcelona. Das war mein erstes Spiel.
Eine Woche später dann ein internationales Spiel. Auch das hört sich heute wie ein Stück Zeitgeschichte an. Der 1. FC Kaiserslautern spielte im UEFA-Pokal im alten Ajax-Stadion in Amsterdam.
Das erste Länderspiel war 1993 ein Freundschaftsspiel in Tunesien. Ein Vorbereitungsspiel auf die WM. Damals war Berti Vogts noch Trainer, und Matthäus hat zum ersten Mal Libero gespielt.
Wie haben Sie sich früher auf ein Spiel vorbereitet? Wo bekam man seine Daten her?
Die gab es kaum. Der Fußball war allerdings auch noch nicht so eine Wissenschaft wie heute. Da gab es noch keine abknickenden Sechsen und falsche Neunen.
Die Recherche war natürlich schwieriger. Man musste zu Terminen, mit Trainern und Spielern reden – es war ein Sammeln von Informationen.
Wir Kommentatoren hatten damals noch einen unglaublichen Informationsvorsprung. Nur wir wussten diese Dinge. Heute kann das jeder im Internet nachlesen.
Und wie sieht es beim Kommentieren aus?
Früher war es gemütlicher. Das Spiel war langsamer – und darum war auch die Bildführung anders.
Heute hat das eine ganz andere Dynamik, die einerseits durch die Sportler vorgegeben wird und andererseits durch die neue Form der Regie. Es gibt schnellere Schnitte, und das Tempo ist höher – sowohl bei der Umsetzung der Fernsehübertragung, als auch auf dem Platz selbst.
Das bedeutet, dass für Hintergrundgeschichten heute kaum noch Zeit ist. Früher konnte man lang und breit etwas über den Trainer erzählen, weil die Spieler auf dem Platz den Ball hin und hergeschoben haben. Heute muss man sehr genau überlegen, ob man überhaupt damit anfängt, weil der Ball innerhalb von Sekunden im Strafraum landen kann.
Nun steht die WM in Brasilien vor der Tür. Für Sie ist das auch eine Rückkehr nach Hause. Wie lange haben Sie dort gelebt?
Elf Jahre. Allerdings nur als Kind. Ich habe in São Paulo gelebt und bin dort zu Schule gegangen. Lustigerweise ist das Eröffnungsspiel auch in São Paulo. Da schließt sich ein kleiner Kreis.
Gewalt, Sicherheitssorgen, Verärgerung bei der Bevölkerung: Können Sie die Kritik verstehen, die es im Vorfeld der Spiele gab und auch noch gibt?
Absolut.
Es wird häufig übertrieben. Gerade aus deutscher Sicht wird gerne an den Ländern rumgemeckert. Auch in Südafrika war das so – wo dann alles hervorragend lief. Aber die Situation in Brasilien ist tatsächlich erschreckend. Was die Organisation angeht, was die sozialen Probleme betrifft…
Im Vergleich zu früher hat sich allerdings auch einiges verbessert. Dadurch, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele Menschen in die Mittelklasse aufgerückt sind, ist ein anderes politisches Bewusstsein entstanden. Die Leute lassen sich nicht länger verarschen. Man hat jetzt das Potenzial – auch intellektuell – den Finger in die Wunde zu legen.
Dürfen Sie solche Themen in Ihren Spielkommentaren aufgreifen?
Ja.
Es gibt keine Vorschriften von der FIFA oder vom ZDF?
Nein. Es gibt überhaupt keine Auflagen vom Sender. Wir können als Kommentatoren komplett frei, live und ungefiltert unsere Meinung sagen. Das ist schön, und das ist auch gut so. Es muss natürlich der richtige Zeitpunkt sein. Kurz vorm Elfmeterschießen fängt man nicht an über Politik zu reden. Das wird in der Vor- und Nachberichterstattung geschehen. Und wenn es die Zeit erlaubt, auch während des Spiels selbst.
Worauf freuen Sie sich am meisten in Brasilien?
Die Brasilianer sind ein großartiges Volk. Sie sind entspannt und gut gelaunt. Sie lieben den Fußball. Das ist nicht das Fußball-Mutterland. Aber von der Seele doch irgendwie.
Ich freue mich auf die Bevölkerung, auf das warme Wetter, auf sehr gute Steaks…
Worauf ich mich weniger freue, ist, dass ich jeden zweiten Tag im Flugzeug sitzen und in einer anderen Stadt übernachten werde – zumindest in der Vorrunde. Da werde ich vom Land nicht viel mitbekommen.
Grundsätzlich freue ich mich natürlich auch auf das Ereignis. Eine Weltmeisterschaft ist immer ein sportlicher Höhepunkt. Ich bin ja auch Fußball-Fan. Sonst würde ich den Job vermutlich gar nicht machen.
Sie kommentieren das Eröffnungsspiel Brasilien gegen Kroatien sowie Leckerbissen wie Brasilien gegen Mexiko und Italien gegen Uruguay. Wie bekommt man solche Spiele? Wird das beim ZDF ausgelost?
Nein. Das Kommentatoren-Team steht ja vorher fest. Dann gibt es eine Redaktionsleitung, die die Spiele mehr oder weniger einteilt. Wenn niemand groß etwas einzuwenden hat, wird es so gemacht. Ich werde immer gut bedient und kann nicht klagen.
Und wer wird Weltmeister?
Ich habe das dumpfe Gefühl, dass es für die Brasilianer ein zweites Maracanã-Desaster geben wird.
Mein Tipp ist Argentinien – mit einem ausgeruhten Lionel Messi. Der hat ja ein halbes Jahr lang nichts gemacht.
Ich könnte natürlich auch Deutschland oder Brasilien sagen. Aber ich glaube, dass Argentinien gute Chancen hat. Jetzt, da die Mannschaft auch einen vernünftigen Trainer und kein Maskottchen wie 2010 mehr hat.
Aber ich weiß es natürlich nicht. Das ist nur ein Gefühl.
Béla-Andreas Réthy kam 1956 in Wien zur Welt. Er wuchs in Brasilien auf und kam 1979 als freier Mitarbeiter in die ZDF-Hauptredaktion Sport. Seit 1994 ist der Wiesbadener als Live-Reporter bei allen Fußball-Welt- und Europameisterschaften im Einsatz. Zu den Höhepunkten seiner Kommentatoren-Laufbahn zählen das EM-Finale Deutschland-Tschechien 1996, das WM-Finale Deutschland-Brasilien 2002, das Endspiel zwischen Griechenland und Portugal bei der EM 2004, das WM-Halbfinale Deutschland-Italien 2006, das WM-Finale Spanien-Niederlande 2010 und das Champions-League-Finale 2013 zwischen Borussia Dortmund und Bayern München. (Quelle: ZDF/Foto: ZDF/Kerstin Bensch)
uniwave Leichte Heftig-Anfälle 😉
. uniwave „Mein Tipp ist Argentinien – mit einem ausgeruhten Lionel Messi. Der hat ja ein halbes Jahr lang nichts gemacht.“ #wm2014
uniwave kommt für JEDEN Tweet über deinen Tweet / Post noch n Retweet?
uniwave Ein Jammer, dass die Seite mobil (Android) ganz grauenhaft aussieht = die linke Menüleiste den Artikeltext komplett verdeckt. Hmpf.
caschy nee 😉
textautomat hmm. Sollte eigentlich nicht so sein
uniwave Hab 2x neu geladen, hat nicht geholfen. Schade. Lese den Artikel nachher aufm Laptop.
textautomat iOS sieht so aus: http://twitter.com/uniwave/status/469853021686755328/photo/1
uniwave Bei mir ist das Menü, das sich öffnet, wenn man auf den Button links oben klickt, dauerhaft offen und lässt sich nicht schließen.