EyeEm überholt Instagram im US-App-Store
Tech-Blogs rund um die Welt staunen: Das deutsche Start-up EyeEm feiert international Erfolge und hat in Apples App Store sogar Instagram überholt. EyeEm ist genau wie der große Konkurrent eine Foto-App für Smartphones. Verfügbar für iOS-, Android- und Windows-7-Geräte können mit dem Programm Bilder aufgenommen und mit Filtern bearbeitet werden. Ist man mit seinem Werk zufrieden, kann es beschriftet, nach Themen sortiert, mit Standortdaten versehen und hochgeladen werden.
In die Karten gespielt hat EyeEm-Gründer Florian Meissner und seinem Team, dass Instagram im Dezember ein kleines Debakel erlebte. Weil das Unternehmen angekündigt hatte, seine Geschäftsbedingungen zu überarbeiten, geriet der Konkurrent in die Kritik. Denn einige Mitglieder des Foto-Netzwerkes und auch die Medien lasen aus den Neuerungen heraus, dass Instagram in Zukunft die Bilder seiner Nutzer verkaufen wolle. Schnell ruderte das Unternehmen zurück und erklärte, dass es sich bei dem entsprechenden Absatz nur um ein Missverständnis gehandelt habe.
Doch da war es bereits passiert. Auf Twitter und Facebook machten Anleitungen die Runde, wie man seine Bilder aus Instagram herunterladen und sein Konto anschließend löschen könnte. „Dieses ‚Instagate‘, wie wir es intern nennen, hat uns noch einmal zusätzlichen Schwung gegeben“, sagt Meissner. Waren es im September noch eine Million heruntergeladene Apps, ging es jetzt richtig los. „Bis dahin hatten wir Zuwachsraten von 30 Prozent – und plötzlich explodierten die Zahlen.“ Zulasten von Instagram?
In den vergangenen Wochen häuften sich Berichte, wonach die beliebte Foto-App einen Einbruch bei den Nutzerzahlen zu verzeichnen hatte. Bis zu 25 Prozent sollten es laut den Daten von AppData sogar sein. Davon will Facebook jedoch nichts wissen: „Diese Angaben sind nicht korrekt. Wir sehen weiterhin starkes und stetiges Wachstum – sowohl bei registrierten, als auch bei aktiven Nutzern von Instagram“, teilte ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage mit. Am Donnerstag veröffentlichte Instagram nun erstmals Zahlen zu seinen monatlich aktiven Nutzern. Und die sprechen tatsächlich dafür, dass an dem Nutzerschwund nicht viel dran ist.
Meissner wollte sich zu seinen eigenen Zahlen nicht äußern. In einem Bericht des IT-Blogs Netzwertig wurde am Mittwoch aber spekuliert, dass um die 50.000 tägliche Downloads von EyeEm durchaus realistisch seien. Doch im Gespräch mit dem Wall Street Journal Deutschland erklärte der Firmenchef, dass die dort genannten Zahlen viel zu niedrig seien. „Wir sind stolz darauf, dass unsere Server in den vergangenen Tagen nur für wenige Stunden nicht erreichbar waren.“ Besonders beliebt sei die App in den USA, Japan, Thailand und Taiwan. Aber auch in Argentinien und Brasilien könne man Erfolge vorweisen. Europa hingegen liege noch etwas zurück. In Deutschland, Großbritannien „und vielleicht noch Frankreich“, sei Interesse da, sagt Meissner.
Doch mit dem Erfolg wurde auch erste Kritik laut. Schnell kursierten Gerüchte über bezahltes verdecktes Marketing. Doch Meissner wiegelt ab: „Seit es uns gibt, haben wir nicht einen Euro für Marketing ausgegeben“, erzählt der Firmenchef. Vielmehr sei die Entwicklung komplett organisch aus der Community heraus entstanden. „Angefangen hat es in den USA. Wir wissen ziemlich genau, was da passiert ist“, sagt Meissner. Doch mehr will er nicht verraten. Nur so viel: Aktive EyeEm-Nutzer hätten bei ihren Instagram-Accounts ihre neuen EyeEm-Profile gepostet und ihre Follower aufgefordert, mit ihnen umzuziehen. Aber auch Twitter habe eine wichtige Rolle gespielt. Sucht man derzeit beim Kurznachrichtendienst nach dem Wort „EyeEm“, so tauchen Tweets im Minutentakt auf. Es ist bekannt, dass solche Aktionen in sozialen Netzwerken schnell zu „viralen Effekten“ führen können, wenn nur die richtigen und gut vernetzten Nutzer mitmachen.
Doch was unterscheidet die beiden Apps eigentlich? Bei EyeEm können Fotos veröffentlicht werden, ohne dass ein einziges Wort eingegeben werden muss. Stattdessen gibt es Listen mit Themen, aus denen der Nutzer dann etwas passendes auswählt. Das kann Basketball sein, das kann aber auch Schwarz-und-Weiß-Fotografie sein. Zusätzlich lässt sich über den im Gerät verbauten GPS-Chip noch der Standort ermitteln und hinzufügen.
„Uns gefiel die Idee, dass es nicht nur ums Posten von Bildern geht“, sagt Meissner. „Es sollte darum gehen, ähnliche Fotos zu dem zu entdecken, was man gerade gemacht hat.“ Darum habe man ein Datenkubus aufgebaut. Bei jedem Foto, das hochgeladen wird, nimmt einem das Programm das Taggen – also das Beschriften der Bilder – ab. Es erkennt, wo man sich gerade befindet, und macht dann Vorschläge, was dort gerade passieren könnte.
„Wenn man zum Beispiel in einem Fußballstadion ist, dann wissen wir natürlich, welches Spiel dort gerade läuft. Wenn man sich gerade in einem Sushi-Restaurant befindet, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man gerade Sushi isst.“ Mit jedem Foto, das gemacht wird, steigt die Anzahl der Markierungen und die Anzahl der Bilder, die es zu einem bestimmten Thema gibt. So ließe sich ein großer Datenkubus mit durchsuchbaren Bildern aufbauen, sagt Meissner: „Dadurch entstehen andere Dynamiken und spannende Formen von Kommunikation. Es geht nicht mehr darum, ein Bild zu machen und dieses dann bewerten zu lassen.“ Diese Idee habe ihn von Anfang an begeistert.
Ein Start-up ist immer nur so gut wie seine Entstehungsgeschichte. Wenn an diesem Satz etwas dran wäre, dann könnte EyeEm tatsächlich das nächste Instagram werden. Denn die Idee hinter dem Berliner Start-up geht nicht auf eine Garage zurück oder auf Bier beim Lagerfeuer – nein, EyeEm hat seine Ursprünge in der New Yorker U-Bahn.
Florian Meissner war vor einigen Jahren in die USA gereist, um dort als Fotograf zu arbeiten. Doch das Schicksal meinte es zunächst nicht gut mit ihm. In der U-Bahn wurde er überfallen, seine Ausrüstung war weg. Ein gebrauchtes iPhone 3G musste als Ersatz herhalten. „Da bin ich dann irgendwie in diese Flickr-Twitter-Szene reingerutscht und habe Leute kennengelernt, die ebenfalls mit Smartphones fotografierten“, erzählt der 28-Jährige. Schon damals entstand die Idee, Fotos mobil zu teilen. Doch bis EyeEm das sein würde, was es heute ist, sollte noch einige Zeit vergehen.
Mit seinen drei Freunden Lorenz Aschoff, Gen Sadakane und Ramzi Rizk begann Meissner nach seiner Rückkehr nach Berlin, eine eigene Foto-Plattform im Internet zu entwickeln. Im Hinterkopf immer das Teilen von Bildern. „Wir hatten kaum Erfahrung und haben jede Menge Fehler gemacht“, erinnert sich Meissner.
Am Anfang gab es eine Couch und vier Menschen. Gemeinsam entwickelte man die ersten Prototypen, für die sich Meissner heute ein wenig schämt. „Die darf man keinem mehr zeigen.“ Bevor die App jedoch veröffentlicht wurde, wollte man überprüfen, ob der Markt dafür schon reif war. Also wurde ein weltweiter Wettbewerb für Fotos, die mit Smartphones gemacht wurden, veranstaltet, bei dem am Ende eine Ausstellung und ein Buch herausspringen sollten. „Wir haben zigtausende Bilder aus aller Welt erhalten“, erinnert sich Meissner. Und so hatte man ganz nebenbei auch die ersten 5.000 Nutzer.
Mit dieser ersten Beta-Version machten sich Meissner und seine Freunde auf die Suche nach Investoren. Christophe Maire war einer der ersten Geldgeber. Anfang 2011 wurde die GmbH eingetragen, vier Monate später stand der erste Prototyp.
„Als wir angefangen haben, war uns bereits klar, dass Foto-Apps explodieren werden“, sagt Meissner. „Am Anfang ging es noch darum, auf seine Bilder möglichst viel Feedback von möglichst vielen Menschen zu bekommen.“ Allerdings habe das Team schon relativ früh erkannt, dass das eigentliche Problem nicht das Fotos machen und teilen war, sondern Bilder zu finden, die einen wirklich interessieren. Die EyeEm-Macher wollten Bilder zeigen, die nach bestimmten Themen sortiert waren oder dort gemacht wurden, wo man sich gerade aufhielt. Bei Instagram müsse man sich nur mal die populären Bilder ansehen, um das Problem zu erkennen, sagt Meissner. Da würde viel Mist auftauchen – die Nutzer seien früher oder später gelangweilt. „Wir haben uns im ersten halben Jahr vor allem auf die Community und das Produkt konzentriert. Die Gewinnung von neuen Nutzern stand im Hintergrund.“
Und wie soll es nun weitergehen? „Wir wollen natürlich weiterhin wachsen“, erklärt Meissner. „Allerdings machen wir uns auch viele Gedanken darüber, wie wir Geld einnehmen können. Wir wollen langfristig eine Plattform aufbauen, von der nicht nur unsere Nutzer, sondern auch alle, die dazu beigetragen haben, profitieren.“ Wie viel Geld man bisher in das Projekt gesteckt habe, wollte der Firmengründer nicht sagen. Auch zu den Einnahmen der ersten Finanzierungsrunde hielt er sich bedeckt. „Die haben wir Ende 2011 mit einer Startfinanzierung von Passion Capital, Wellington Partners und Christophe Maire abgeschlossen.“ Nur so viel: „Es war nicht wenig.“
Die Zahlen sprechen dafür, dass die Erfolgsgeschichte weitergeht. Im September 2012 wurde bekannt, dass die EyeEm-App über eine Million Mal heruntergeladen wurde. „Das war ein Meilenstein für uns“, sagt Meissner. „Man muss aber bedenken, dass wir Anfang September unsere bisher beste Version herausgebracht haben: EyeEm 3.0. Da ging es für uns eigentlich erst richtig los.“
Den US-App-Store, in dem EyeEm derzeit mehr Downloads verzeichnet als Instagram, nennt Meissner „die Königsdisziplin“. Er wolle nun jedoch erst einmal abwarten, wie sich alles weiterentwickelt. „Da müssen wir auch ein bisschen Glück haben.“ Besonders erfolgreiche Profile mit vielen Abonnenten, Follower genannt, gibt es laut Meissner bei EyeEm momentan noch nicht. „Wir machen eher Masse“, berichtet er. Und das habe dazu geführt, dass man in den Charts immer höher geklettert sei und in den USA zeitweise nicht nur Instagram sondern auch Snapchat, eine in den USA sehr populäre Foto-App, überholt habe.
Wie erfolgreich EyeEm tatsächlich in den USA mittlerweile ist, zeigt eine kleine Anekdote, die Meissner zum Schluss noch erzählt: An einer Highschool in Nordamerika sei die App vor kurzem blockiert worden. Per Twitter habe eine Schülerin geschrieben: „Oh nein! Ich kann EyeEm nicht mehr benutzen, weil unsere Lehrer es geblockt haben.“
Zuerst erschienen auf WSJ.de / Fotos: J. Camrath